Der Pullover

Der Pullover

Mein Sohn besitzt einen Pullover. Ja, Ihr habt richtig gehört. Natürlich ist sein ganzer Schrank voller Pullover, ich schätze es sind ca. zehn Stück. Doch laut meinem Sohn befindet sich nur ein einziger Pullover in seinem recht umfangreichen Klamottenfundus, der es in seinen Augen auch verdient tatsächlich getragen zu werden.

Und das tut der Sohn auch … Tag und Nacht … tage-, wochenlang … Der Pulli ist nicht nur der „einzige Pullover“ des Sohnes, er ist auch das einzige Kleidungsstück im Haus, das noch seltener die Waschmaschine von innen sieht, als unsere Gardinen. Selbige wasche ich – wenn es hoch kommt – einmal im Jahr, wenn es weihnachtet.

Ich muss gestehen, dass mich dieser Zustand wirklich unfassbar aufregt, obwohl ich natürlich weiß wie albern und unnötig das ist. Das Kind fühlt sich nun mal momentan nur in diesem Pullover gut. Alle anderen Pullis sind „scheißehässlich“ und „ungemütlich“. So!

Sämtliche Versuche ihn an die restliche in seinem Schrank befindliche Oberbekleidung heranzuführen, waren bisher erfolglos. Ständig endete ein zunächst behutsames Gespräch – man möchte das Pubertier ja nicht verschrecken – in einem kolossalen Streit mit allerhand Schimpfwörtern, die in keinem Erziehungsratgeber zu finden sind. Ich habe nachgesehen.

Ich habe sogar ernsthaft überlegt ein „Stunt-Double“ des Pullovers anzuschaffen, um wenigstens die Chance einer gelegentlichen Reinigung zu gewährleisten. Wenn das blöde Ding nur nicht so teuer wäre.

„Pulli für Herren mit schreiend buntem Aufdruck, gebraucht“, gebe ich in die Google Suchmaske ein und erhalte eine Auswahl an verschiedenen Herrenoberbekleidungsstücken…aber nicht DEN Pullover, der bei uns bereits nur noch so genannt wird. „Kind, wo ist DER Pullover?“ „Ich muss DEN Pullover dringend noch mal waschen.“

Tritt dieser Fall alle paar Wochen ein, gleicht das immer einem Drama epischen Ausmaßes. Allein die Überzeugungsarbeit um Kind und Pullover temporär voneinander zu trennen, kostet unglaublich viel Fingerspitzengefühl und Kraft. Ich fühle mich wie Indiana Jones, der ein goldenes Relikt blitzschnell gegen einen gewöhnlichen Apfel austauschen muss, ohne, dass die Falle zuschnappt und eine gigantische Steinkugel auf mich zurollt.

Sowas erzählt einem ja auch vorher keiner.

„Mach dir deswegen nicht die Nerven kaputt!“, sagt meine Mutter und ich weiß sie hat Recht. Aber manchmal sind von denen einfach ohnehin gerade nur wenige da, weil der Tag stressig war oder ich es leid bin über so einen Quark zu diskutieren.

Mama sein ist echt nicht leicht. Teenager sein aber auch nicht. Daran sollte ich mich selbst viel öfter erinnern.

Vielleicht erinnere ich mich dann auch wieder an meine blauen Lieblings-Sneaker, die ich damals noch getragen habe, als sie bereits keine Sohlen mehr hatten. Bei jedem Wetter. Und daran, wie gerne meine Mama sich dieser heimlich entledigt hätte.

Oh…

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