Trotztage

Trotztage

Man sollte ja meinen, dass ein 9jähriger der Trotzphase längst entwachsen ist. Aber es gibt immer wieder Tage, wo ich genau daran ernsthafte Zweifel hege. Wer weiß, vielleicht dauert diese Entwicklungsphase bei uns einfach länger als gewöhnlich und unser Sohn war halt einfach noch nicht fertig mit Trotzen. Oder aber es handelt sich bei den Ausbrüchen unseres Großen bereits um die Vorhut der bevorstehenden Pubertät. Heute war mal wieder so ein Tag.

Eigentlich hatte alles ganz normal angefangen. Früh aufstehen, die Kids in die Schule verfrachten, ins Büro hetzen und auf dem Heimweg kurz ein paar Nahrungsmittel schießen…der ganz normale Wahnsinn also. Dann kam der Nachmittag und ich forderte meinen Großen dazu auf, für den morgigen Gitarrenunterricht zu üben. Mein Sohn hatte dazu (Überraschung!!!) so gar keinen Bock und kramte nach gefühlt hundertmaliger Ermunterung meinerseits das ungeliebte Instrument aus der Versenkung. Es hatte die gesamten Sommerferien gut verpackt im Schrank verbracht und war somit bestens erhalten.

Mein Kind hat seine ganz eigene Lernmethode entwickelt. Ich glaube, er wartet noch darauf, dass sein Körper urplötzlich eine Art Inselbegabung in Bereich Musikalität bildet, damit er gänzlich auf praktische Übungen verzichten kann. 🙂

Die Hausaufgabe für die Ferien war den G-Dur Griff zu üben. Ich selbst spiele nicht Gitarre, aber die Aufgabe war jetzt in meinen Augen nicht so eine Riesenherausforderung. Mein Sohn sah das anders. Schon nach dem ersten Versuch seine Finger irgendwie korrekt auf dem Gitarrenhals zu positionieren, ging das Geschrei wieder los.

Ich kann das nicht!“… „Guck doch mal! Wie soll denn das gehen? Diese blöde Scheiß-Gitarre!“ Jetzt versuch es doch mal ganz in Ruhe.“, säuselte die Frau, die damals ihre eigene Musikkarriere nach einjährigem Klavierunterricht begraben hatte. (Der Grund für mein Versagen: akute Notenblindheit. Dafür fehlt mir einfach jegliches Verständnis.) Das geht nicht!!! Ich will das nicht versuchen! Ich mach jetzt einfach gar nix mehr! So!“, sprachs und schleuderte die Gitarre auf die Couch.

Was soll denn dieses Theater jetzt?“, entgegnete ich – noch einigermaßen ruhig. „Setz dich doch einfach in Ruhe hin und versuch es ein paar Mal. Warum regst Du Dich denn so auf?“ Weil das scheiße ist! Das geht nicht und wird auch nie klappen! ICH HASSE GITARRE SPIELEN!“

Diese Information wäre vielleicht sinnvoll gewesen als wir Dich Ende des dritten Schuljahres fragten, ob Du gerne weitermachen möchtest, was Du übrigens mit „Ja“ beantwortet hast. Kurz bevor wir FÜR EIN GANZES WEITERES JAHR EINEN VERTRAG MIT DER MUSIKSCHULE ABGESCHLOSSEN HABEN!!!“ (Die Worte in Großbuchstaben sagte ich nicht, sondern ich brüllte sie. Bei geöffnetem Fenster. Und zwar so laut, dass man es sicher bis zu Ende der Straße hören konnte.)

DANN MELDE MICH DOCH AB!“, brüllte mein Sohn.

DAS GEHT NICHT! DEN VERDAMMTEN VERTRAG KANN MAN NICHT FRÜHER KÜNDIGEN!!!“

Um es kurz zu machen, das Gespräch nahm eine wenig konstruktive Wendung und war irgendwann nur noch ein einziger Brei aus heulendem, stampfendem Kind und einer vollends am Ende ihrer nervlichen Belastbarkeit angelangten Mutter. Dazwischen eine kleine traurige Gitarre, die doch keinem etwas Böses wollte und mein jüngerer Sohn, der draußen Fußball spielte und den Streit mit Einwürfen wie:„Ich spiele gerade Deutschland gegen Argentinien! Für wen seid ihr?“ bereicherte.

ARGENTINIEN!“, brüllte ich irgendwann genervt zurück und dann war erst mal Ruhe im Haus.

Und wie jedes Mal ging mein Sohn nach einer Weile klammheimlich zurück ins Wohnzimmer und übte wortlos seine Gitarrengriffe. Und wie immer klappte es diesmal und er räumte zufrieden die Gitarre weg. Als er danach an mir vorbei in den Garten ging, sagte er: „So, fertig geübt. War voll pipi-einfach!“

Ich atmete tief durch.

Siehst du! Und dafür das ganze Theater.“, sagte ich und nahm meinen Sohn in den Arm, der nach einem Kuss in den Garten verschwand um Argentinien zu vertreten.

Was für ein Nachmittag!“, dachte ich und fasste den Entschluss, mir für die nächste Gitarrenübungseinheit meines Filius einen Boxsack zu bestellen. Nur für alle Fälle.

 

Dieser Text ist ebenfalls erschienen auf Eltern

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