„Hoffentlich merke ich das auch, wenn es losgeht!“
Das war meine größte Sorge vor der Geburt meines ersten Sohnes. „Was, wenn ich die Schmerzen nur für Übungswehen halte und dann das Kind plötzlich kommt? Schaffe ich es dann noch rechtzeitig ins Krankenhaus?“
In den letzten Tagen vor dem errechneten Geburtstermin war ich sehr ungeduldig und fieberte der Geburt in freudiger Erwartung entgegen. Die gegen Ende teilweise doch recht heftigen Übungswehen hatte ich belächelt und Scherze darüber gemacht.
„Wenn DAS das schlimmste Schmerzlevel ist, das man unter den Wehen erreicht, dann sitz ich die Geburt auf der linken Arschbacke ab!“, verkündete ich in meinem Freundeskreis. Bei meinen Freundinnen sorgten meine Prahlereien für großes Amüsement. Einige wenige von ihnen wussten bereits was mir bevorstand, aber alles was sie zu mir sagten, war: „Das schaffst du schon!“ und „Wenn es losgeht, musst du einfach an dein Kind denken. Dann sind die Schmerzen halb so wild!“
Diese elenden Lügnerinnen.
Es war der Abend des errechneten Termins. Mein Mann und ich saßen gemütlich vor der Glotze und sahen uns „Wilde Kreaturen“ mit John Cleese an als ein heftiger brennender Schmerz durch meinen Unterleib schoss. Ich war von der Intensität ehrlich überrascht. Das hatte nichts mit dem zu tun, was ich in meinem bisherigen Leben an Schmerzen kennenlernen durfte. „AU!“, stieß ich zwischen meinen Zähnen hervor. „Hm?“, fragte mein Mann ohne den Blick von der Mattscheibe zu lösen. „Was war das denn?“, fragte ich, immer noch schwer beeindruckt.
Mein Mann sah mich an. „Na toll! Geht’s jetzt los, oder was!?“ In seinem Blick spiegelte sich die blanke Panik.
„Keine Ahnung. Ich geh mal auf’s Klo.“, beschloss ich. Fünf Minuten später stand ich wieder im Raum.
„Zieh mal deine Jacke an! Wir fahren jetzt ins Krankenhaus.“, hörte ich mich selbst sagen. „Ich habe leichte Blutungen.“
„Ach du Scheiße!“, entfuhr es meinem Mann, der den Fernseher ausknipste und in die Diele sprintete wo er hektisch in Jacke und Schuhe schlüpfte und sich den Autoschlüssel und die seit Wochen gepackte Kliniktasche schnappte.
Ich hingegen trödelte völlig tiefenentspannt durch die Wohnung und kontrollierte alle Elektrogeräte und ob die Tür zur Terrasse ordnungsgemäß verschlossen war.
„Kommst du vielleicht mal, oder was?“, zischte mein Mann aus der Diele. „Moment!“, fauchte ich zurück. „Ich muss noch Schuhe anziehen und meinen Mutterpass einpacken.“
„Dann zieh mal dran, ‚Mrs. Ich-habe-Blutungen‘! Ich glaub, du spinnst!“
„Jetzt mach mal halblang! Keine Panik.“, beschwichtigte ich den aufgebrachten Papa in spe während ich mich in meine Schuhe zwängte. Ein bisschen nervös war ich natürlich auch, aber eben nur ein bisschen.
Dann saßen wir endlich im Auto. Es war ein kleiner roter klappriger Peugeot, bei dem vor etwa einer Woche der Auspuff kaputt gegangen war, der während der Fahrt nun immer einen ohrenbetäubenden Lärm verursachte. Mit starrem Blick umklammerte mein Mann das Lenkrad. Er war total angespannt und wir wechselten während der Fahrt kaum ein Wort. Das Röhren des defekten Auspuffes hätte ohnehin jeden Kommunikationsversuch im Keim erstickt. Die Absurdität der gesamten Szenerie hatte eindeutig Monty Python – Niveau.
Als wir das Krankenhaus betraten, ging es mir bis auf leichte Gehörschäden noch relativ gut. Eine junge Hebamme grüßte uns freundlich als wir in den Aufzug in Richtung Entbindungsstation stiegen. Sie war auf dem Weg zu ihrer Nachtschicht. Wir auch.
Nachdem alle Personalien aufgenommen worden waren, wurden wir in einem der Kreißsäle geparkt und ich ans CTG angeschlossen. Eben jene Hebamme betrat den Raum und legte mir in der rechten Hand einen Zugang. „Nur für alle Fälle.“, erkläre sie.
Die Wehen kamen mittlerweile alle fünf Minuten. Teilweise waren sie so heftig, dass mir Tränen in die Augen schossen. Die Hebamme verließ den Raum und sprach draußen mit einer Frau im weißen Kittel. Dann kam sie zurück und wies uns an ihr zu folgen. „Ich bin Frau Dr. Wiese.“, stellte die Kittelfrau sich vor. „Ich bin fix und fertig.“, lag mir auf den Lippen. Frau Dr. Wiese begutachtete meinen Mutterpass, stellte Fragen zum Verlauf der Schwangerschaft und führte einen letzten Ultraschall durch. Da alles planmäßig und unauffällig aussah, entließ sie uns mit der Ankündigung, dass wir mich an der Aufnahme anmelden und uns den Schlüssel zum Vorwehen-Zimmer geben lassen sollten.
So langsam aber sicher wurde uns klar, was hier los war. Wir würden ein Baby bekommen und zwar bereits ganz bald!
Das Aufnahmegespräch gestaltete sich recht schwierig. Hinter einer Glasscheibe saß ein schlecht gelaunter Mann, der einer noch schlechter gelaunteren – da immer wieder von heftigen Wehen gepiesackten – Erstgebärenden ein Loch in den Bauch fragte. Eine sehr ungünstige Konstellation!
Wieder zurück im Kreißsaal wurde ich wieder ans CTG angestöpselt und die nette Hebamme kündigte an, dass sie jetzt plane, den Muttermund abzutasten. „Das wird jetzt ein bisschen unangenehm.“, säuselte sie. EIN BISSCHEN UNANGENEHM??? Ich fragte mich, wie viele Kinder sie mit ihren schätzungsweise Zwanzig Lenzen sie wohl schon entbunden hatte und wie oft man IHREN Muttermund abgetastet hatte. Nach der Untersuchung fand ich sie jedenfalls nicht mehr so nett.
„Also, der Muttermund ist jetzt 2-3 cm geöffnet. Wir brauchen aber schon so unsere 10 bis elf Zentimeter, damit der Kopf Ihres Babys da durch passt.“, erklärte sie mir ruhiger Stimme.
„Und wie lange dauert das jetzt dann noch ungefähr?“, fragte mein Mann.
„Tja, so acht bis neun Stündchen werden Sie uns wohl noch erhalten bleiben.“, lachte die Hebamme. Mein Mann und ich warfen uns panische Blicke zu. Als die Hebamme den Raum verlassen hatte, heulte ich erst mal drauf los.
Ich hatte keine Lust mehr auf die Schmerzen und das Warten und…ach einfach alles! Eigentlich wollte ich nur noch nach Hause. Sollte doch jemand anderes hier weitermachen!
Als die Hebamme nach einiger Zeit mal wieder hinein huschte um nach dem Rechten zu sehen und mein verquollenes Gesicht sah, befand sie, dass wir uns das Vorwehen-Zimmer schenken könnten und fragte mich, ob ich eine PDA wolle. Nichts lieber als das!
Als die PDA saß und ich mir selbst stündlich einen Schuss himmlisches Betäubungsmittel durch den Zugang in meinem Rücken verpassen konnte, entspannte sich die Lage etwas. Jetzt war ich nur noch müde. Auch mein Mann kämpfte auf dem Sessel neben mir gegen den Impuls an, einfach einzuschlafen.
Mittlerweile hatten sich die Abstände zwischen den Wehen drastisch verkürzt. Der PDA sei Dank konnte ich darüber nur müde lächeln. Die Fruchtblase war unterdessen geplatzt und erfreute uns mit ihrem Inhalt, der sich bei jeder noch so kleinen Bewegung meinerseits sturzbachartig über das Bett ergoss. Man entschied, dass die Intensität der Wehen für das Stadium der Geburt zu heftig war. Der Muttermund war noch nicht weit genug geöffnet, der Kopf meines Sohnes drückte aber bereits dagegen, was zur Folge hatte, dass dieser bereits wieder zu schwoll. Alles in allem versprach es eine gelungene Nacht zu werden. Man verabreichte mir ein Wehen-hemmendes Mittel, das jedoch die unschöne Nebenwirkung unkontrollierter Körperzuckungen mit sich brachte. Toll. So lag ich da in einem nassen Bett, schnatterte vor Kälte UND hatte meinen Körper nicht mehr unter Kontrolle.
Die junge Hebamme war irgendwann gegangen und hatte uns der Obhut einer Kollegin überlassen, die sagen wir ihrem Job etwas rustikaler nachging.
Gegen Morgen des Folgetages war es dann endlich soweit. Frau Dr. Wiese prüfte mittels einer Blutprobe vom Kopf des Kindes, ob der bisherige doch recht strapaziöse Geburtsverlauf Auswirkungen auf mein Ungeborenes hatte. Hierzu stemmte die Rustikale ihre Ellbogen in meinen Bauch, um das Kind nach unten zu drücken. Nicht die schönste Viertelstunde meines Lebens, aber es war irgendwie auszuhalten.
Danach sollte ich auf einem Gymnastikball sitzen und kreisende Bewegungen machen damit mein Baby weiter ins Becken rutschen konnte. Einige Liter Fruchtwasser und diverse Grüntöne im Gesicht meines Mannes später sollte dann eine erneute Blutprobe entnommen werden. Diesmal gefiel meinem Sohn das Herunterdrücken jedoch so gar nicht. Die Herztöne auf dem CTG wurden langsamer und ungefähr zeitgleich tauschten Hebamme und Ärztin einen vielsagenden Blick. Und ab da wurde es hektisch. Die Ärztin rannte aus dem Raum während die Hebamme an mir herum fummelte. „Drehen Sie sich schnell auf die Seite!“, fuhr sie mich an „Und versuchen Sie so tief wie möglich zu atmen!“ Ich sah meinen Mann an. In seinen Augen stand die nackte Angst. Die Rustikale rannte zur Tür und brüllte in den Flur: „Frau Dr. Wiese!“ Diese stürzte ins Zimmer und verabreichte mir eine Spritze. „Das ist ein Mittel, um die Herztöne Ihres Kindes wieder in Gang zu bekommen.“, erklärte sie. „Aus irgend einem Grund hat Ihr Baby gerade Stress.“ Nicht nur mein Baby!
Bei meinem Mann waren mittlerweile alle Dämme gebrochen und er brach in Tränen aus. Ich heulte mit. Das war jetzt eindeutig alles eine Spur zu viel! Ich war völlig am Ende.
Ein Gespräch mit dem Oberarzt beruhigte uns allerdings wieder ein Stück weit. Er erläuterte uns, dass eine solche Entwicklung unter der Geburt nichts ungewöhnliches sei, er aber nun doch dazu raten würde, die Angelegenheit durch einen Kaiserschnitt zügig zum Ende zu bringen. Eigentlich hatte ich einen Wahnsinns-Horror vor Operationen, aber das war mir in diesem Moment glatt entfallen und so willigte ich ein. Ab da ging alles ganz schnell. Mein Mann – durch die dramatische Entwicklung der vergangenen Stunden leicht lädiert – bat mich darum, dem OP fernbleiben zu dürfen. Da mir die Vorstellung eines bewusstlosen Ehemannes neben dem OP-Tisch wenig erstrebenswert erschien, willigte ich ein. Wir hatten bereits im Vorfeld abgesprochen, dass er nicht dazu gezwungen würde, der Geburt seines Sohnes beizuwohnen und er hatte die Option, sich jederzeit ausklinken zu dürfen.
Und dann lag ich plötzlich im OP, ein fesches OP-Hemdchen am Leib und von der Hüfte ab gelähmt und beobachtete den laufenden Eingriff, der sich unbeabsichtigterweise in einem Teil der OP-Lampe an der Decke spiegelte. Als ich den Anästhesisten amüsiert darauf aufmerksam machte, hielt der mir die Augen zu.
Da war er, der erste Schrei meines Sohnes. Ich war absolut überwältigt. Tränen liefen über mein Gesicht und der Anästhesist streichelte meine Wange. Die Ärzte hielten ihn kurz über das Tuch und nachdem er gesäubert worden war, legte man ihn neben mein Gesicht. „Hallo, du kleine Maus. So ein Mist, was!?“, waren die ersten geistreichen Worte, die mir in diesem Moment einfielen.
Dann brachte man den kleinen Mann zu einem frisch geborenen Papa, der die Zwischenzeit effektiv genutzt und der Putzfrau des Krankenhauses beim Aufräumen des Kreißsaales geholfen hatte.
Nach gefühlt stundenlanger Rest-OP wurde ich endlich in ein Zimmer gebracht, wo mich meine kleine Familie schon erwartete.
Und dann war es plötzlich ganz ruhig. Mein Mann und ich sahen erst das kleine Bündel in seinen Armen und dann uns an. Ich glaube, wir dachten in diesem Moment beide dasselbe: „Und jetzt?“